Vor Kurzem kam mir in den Sinn, dass das mit dem Wissen so eine Sache ist. Man kann in der Schule oder Universität so viel lernen wie man will, aber nichts bereitet einen besser auf das Arbeitsleben vor, als die Arbeit selbst. Zum Motorsport bin ich völlig zufällig gekommen, und ich erinnere mich noch sehr genau an meine erste Woche in der Presseabteilung des Toyota Team Europe (dem damaligen WRC-Team von Toyota). Natürlich hatte mich meine Ausbildung grundsätzlich auf Presse- und PR-Arbeit vorbereitet. Dies half mir jedoch nicht wirklich, den Unterschied zwischen einem Rallye- und einem F1-Auto zu kennen. Ich musste schnell lernen, und das tat ich dann auch.
Also was ist Wissenstransfer?
Wenn Sie den Ausdruck ‚Wissenstransfer‘ auf Wikipedia nachschauen (englische Version), dann bekommen Sie diese etwas trockene Erklärung: „Ein Wissenstransfer besteht normalerweise aus der Weitergabe von Wissen von einem Teil eines Unternehmens an ein anderes. Sein Ziel ist es zu organisieren, zu kreieren, Wissen zu sammeln oder zu verteilen, und es wird sichergestellt, dass zukünftige Nutzer Zugriff darauf haben.“
Soviel zur Theorie. Im wirklichen Leben gibt es meiner Ansicht nach noch weitere Arten von Wissenstransfers. Es wäre doch seltsam, wenn er sich lediglich auf das Innere eines Unternehmens beschränken würde.
Einige Beispiele aus der Formel 1
Entwicklungen, die in der Formel 1 und anderen Motorsportserien gemacht wurden, werden regelmäßig von der Automobilindustrie übernommen. Push-Button-Zündungen, Scheibenbremsen, Profilreifen und Rückspiegel sind nur einige von vielen Beispielen.
Über die technischen Aspekte des Sports wurde schon genug geschrieben, so dass ich mich heute lieber auf die etwas weniger konventionellen Wissenstransfers in der Formel 1 konzentrieren möchte.
Beispiel Nr. 1 – das Williams F1 Team
Williams F1 hat keinen Hersteller im Rücken. Das Team verdient also ausschließlich mit Motorsport sein Geld, im Gegensatz zu Mercedes oder Red Bull zum Beispiel, deren Kerngeschäft woanders liegt. Daher muss Williams immer wieder neue Wege finden, gute PR zu machen, um dadurch Sponsoren und talentiertes Personal anzuziehen. Bisher ist ihnen dies ganz gut gelungen, wie das folgende Beispiel zeigt. Letztes Jahr wurde Williams F1 von Ärzten der Neugeborenenstation des Universitätskrankenhauses von Wales um Rat gefragt, wie man Wiederbelebungsmaßnahmen für Neugeborene verbessern könne. Wieso fragt man da ein Formel 1-Team, denken Sie? Na ja, bei der Formel 1 geht es ja hauptsächlich um Schnelligkeit, und Boxenstopps sind ziemlich beeindruckend. Ein Team von etwa 20 Mechanikern ist in der Lage, alle vier Reifen eines Autos in circa zwei Sekunden zu wechseln. Und dabei arbeiten sie im wahrsten Sinne des Wortes Hand in Hand. Die Wiederbelebung eines Neugeborenen muss ebenfalls schnell vonstattengehen. Von daher lernten die Ärzte von der Williams-Boxenstopp-Crew, ihre Organisation, Vorgehensweise und Schnelligkeit zu optimieren. Das ist ein tolles Beispiel für einen Wissenstransfer – obwohl man vermutlich nicht als allererstes an eine solche Lösung denken würde.
Beispiel Nr. 2 – das McLaren F1 Team
McLaren F1 ist eines der traditionsreichsten Teams im aktuellen Starterfeld, obwohl sie zugegebenermaßen im Moment nicht so richtig an ihre besten Zeiten anknüpfen können. Sie sind jedoch nach wie vor in der Lage, ihr Wissen, das sie in vielen Jahren Rennsport gesammelt haben, weiterzugeben. McLaren hat ein Programm für junge Leute aus benachteiligten Bevölkerungsschichten ins Leben gerufen, das sie auf das Arbeitsleben und die Karriere vorbereiten soll. Die Schüler, die für dieses Programm ausgewählt werden, erhalten von Fachkräften pragmatische Ratschläge für den Eintritt ins Arbeitsleben. Zudem werden ihnen wertvolle Kompetenzen wie Pünktlichkeit, gutes Auftreten, Kommunikationsfähigkeit und Teamarbeit vermittelt. Alles Eigenschaften, die ein Formel 1-Team braucht, um wettbewerbsfähig zu sein. Und eine gute Möglichkeit, Wissen ganz praxisnah an die nächste Generation weiterzugeben.
Die Formel 1 – ein Fähigkeitsgenerator
Dies sind natürlich nur zwei Beispiele von vielen, die zeigen, dass es bei der Formel 1 nicht nur darum geht, am schnellsten ins Ziel zu kommen. Ich stimme zu, dass man von außen denken könnte, bei diesem Sport geht es bloß darum, Spaß zu haben und dass man nur schnell fahren oder gut auszusehen braucht, um ins Fahrerlager zu kommen. Nichts ist weiter von der Realität entfernt (obwohl es natürlich hilft, sollten Sie Rennfahrer oder Grid Girl sein). Bedenken Sie, dass die weltbesten Ingenieure im Motorsport arbeiten und dass einige ziemlich schwierige Journalisten junge PR-Assistenten sehr schnell dazu bringen, alles über Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zu lernen. Und jedes Unternehmen, das in diesen Sport involviert ist, sei es in der Logistik, in der Hospitality oder im Entertainment, gibt immer sein Bestes. Denn die Konkurrenz schläft nicht…
Kurz gesagt, dieser Sport vermittelt jedem, der damit zu tun hat, Fähigkeiten wie Schnelligkeit, Genauigkeit, Ausdauer und Stresswiderstand. Qualitäten, die überall gebraucht werden, nicht nur in der Formel 1.
Und wie sieht das bei Ihnen aus?
Gehören Sie zu den wenigen, die ihr Wissen noch nie auf einen anderen Arbeitsbereich transferiert haben? Falls Sie nicht gerade Arzt, Architekt oder Anwalt sind (die Liste lässt sich beliebig fortsetzen), wo sehr spezifisches Wissen erforderlich ist, glaube ich, dass nicht viele von Ihnen in ihrem ursprünglichen Beruf arbeiten. Dies bedeutet, dass Sie zu irgendeinem Zeitpunkt Ihr Wissen von einem Bereich auf einen anderen verlagert haben. War das freiwillig oder Zufall?
Bis zum nächsten Mal. Passen Sie auf sich auf.
Ihre,
Alexandra Schieren